Über die unerwarteten Zusammenhänge des Lebens unter und über der Bodenoberfläche – ein Text von Britta Frei, MSc.
Ein Großteil der Böden dieser Erde ist mit einer Pflanzenschicht bedeckt. Die Sonne liefert den Pflanzen die nötige Energie um Kohlenstoff aus der Luft zu binden und zu wachsen. Dabei kann diese Schicht aus unterschiedlichsten Pflanzenarten bestehen, die verschiedenen Tieren einen Lebensraum bietet. So schaffen Pflanzen beispielsweise ein gemäßigtes Klima an heißen und trockenen Sommertagen und ihre Samen, Blätter, Pflanzensäfte oder Pollen ernähren eine Vielzahl an pflanzenfressenden Insekten, wie Bienen, Blattläuse, Schmetterlinge, Wanzen, Grashüpfer und andere Organismen. Ein reichhaltiges Buffet aus verschiedenen pflanzenfressenden Insekten zieht natürlich auch räuberische Gliedertiere wie Spinnen oder bestimmte Gruppen von Käfern an. Auch parasitoide Wespen finden hier Blattläuse, die als Wirte zur Entwicklung ihrer Larven genutzt werden. Dieser oberirdischen Welt wurde bereits von vielen Beobachtenden und Forschenden reichlich Aufmerksamkeit geschenkt.
Schwieriger zu beobachten ist hingegen, was sich unterirdisch im Boden abspielt. Hier finden wir einerseits Pflanzenfresser, die an den Wurzeln knabbern und andererseits Zersetzergemeinschaften, unter anderem Regenwürmer und Springschwänze, die abgestorbenes Pflanzen- und Tiermaterial zerkleinern und damit Nährstoffe wieder pflanzenverfügbar machen. Lange Zeit wurden diese beiden Welten, nämlich der Lebensraum auf dem Boden und jener im Boden, in der Wissenschaft getrennt voneinander betrachtet. Bedenkt man wie stark diese beiden Welten miteinander verbunden sind, so mag es einen wundern wie wenig Beachtung den Interaktionen zwischen diesen beiden Lebensräumen bisher geschenkt wurde. Die unterirdische Welt ist abhängig vom Eintrag an organischem Material aus der oberirdischen Welt. Und die oberirdische Welt wiederum, würde ohne das Recycling der Zersetzergemeinschaft bald aufhören zu existieren.
Ein offensichtliches Bindeglied zwischen der unterirdischen und der oberirdischen Welt ist die Pflanze. Unterirdische Pflanzenfresser und Zersetzergemeinschaften wirken sich auf die oberirdische Pflanzengemeinschaft und somit in der Folge auch auf die dort lebenden Organismen aus. So verändert die Aktivität dieser unterirdischen Organismen die Nährstoffzusammensetzung der oberirdischen Blätter, was sich wiederum auf die Dichte von Pflanzenfressern und deren Räubern bzw. parasitoide Wespen auswirkt. Aber nicht nur Pflanzen haben einen Zugang zu diesen beiden Welten. Auch Insekten wie zum Beispiel verschiedenste Arten aus der Familie der Laufkäfer können zwischen diesen beiden Welten wechseln (siehe Abbildung Nahrungsnetze).
Als bekannte Nützlinge haben Laufkäfer die Forschung auf ihr Potenzial in der biologischen Kontrolle aufmerksam gemacht. Studien zeigen auf, dass Laufkäfer oberirdische Pflanzenfresser wie Blattläuse oder Schnecken reduzieren und durch den Fraß von Samen einen bedeutenden Einfluss auf Unkrautgemeinschaften haben können. Als generalistische Räuber haben Laufkäfer ein breites Nahrungsspektrum und Zugang sowohl zu ober- als auch zu unterirdischen Nahrungsnetzen. Gerade in Zeiten geringer oberirdischer Schädlingsdichten ermöglichen ihnen unterirdische Nahrungsquellen wie Regenwürmer und Springschwänze das Überleben. So sind Laufkäfer bereits im Frühjahr vor Ort, wenn die ersten Blattläuse in die Felder einwandern und können ein schnelles Wachstum der Blattlaus-Populationen eindämmen oder sogar erhebliche Schädlingsausbrüche verhindern.
Eine gleichwertige, wenn nicht umso wichtigere Rolle dürfte die unterirdische Welt für die Larven der Laufkäfer spielen. Da die Larvenstadien schwierig zu untersuchen sind, kratzt hier die Forschung noch an der Oberfläche. Nahrungsnetze, die mit Hilfe von logisch basiertem „Machine Learning“ erstellt wurden, räumen den Larven einen bedeutenden Stellenwert als Räuber unterschiedlichster unterirdischer Beute ein. Beobachtungen im Feld lassen vermuten, dass Larven Unkrautsamen in Tunneln von Regenwürmen konsumieren oder belegen, dass Larven sich in der Winterzeit von Unkrautsamen ernähren, die sie sich zuvor als Vorrat in Erdgängen angelegt haben. Basierend auf den gängigen ökologischen Theorien scheint es im Vergleich zu anderen Gliedertieren „zu viele“ Laufkäfer auf der Bodenoberfläche zu geben als, dass es die Verfügbarkeit an oberirdischer Nahrung erklären würde. Eine mögliche Erklärung dafür wäre ihr Zugang zu unterirdischen Nahrungsquellen. Möchte man dieses Wissen in der Praxis zur biologischen Kontrolle einsetzen, so müssten Bewirtschaftungssysteme eingeführt werden, welche Laufkäfer, besonders wenn ein Mangel an oberirdischen Nahrungsquellen herrscht, über die Stärkung unterirdischer Zersetzergemeinschaften fördern, um dann in Zeiten verstärkten Befalls von ihrem Potential zur biologischen Kontrolle zu profitieren.
Ob oberirdische oder unterirdische Nahrungsnetze, beide sind für sich allein mit all ihren Organismen und Interaktionen sehr komplex aufgebaut und es stellt für die Wissenschaft eine große Herausforderung dar, diese adäquat zu messen. Dies dürfte auch eine mögliche Erklärung dafür sein warum diese Welten bisher getrennt voneinander betrachtet wurden. Wie auch immer, neue Methoden und Werkzeuge öffnen der Wissenschaft neue Wege, diese beiden Welten miteinander zu verbinden. Mit molekularen, auf DNA oder Enzymen basierten Methoden lassen sich Räuber-Beute Interaktionen direkt im Feld messen. Weiters geben Analysen stabiler Isotopen einen langfristigeren Blick auf diese Nahrungsnetze. Das sich ständig weiter entwickelnde Wissen, neue Analysemethoden und der technische Fortschritt erlauben es uns, komplexere Netzwerke zu berechnen und ihre Bedeutung für ein Ökosystem immer besser zu verstehen.
Dass ein guter Boden die Basis ist und, dass Interaktionen zwischen den beiden Welten eine wichtige Rolle spielen scheint außer Frage zu stehen. Um allerdings die Fragen Wer? Wann? und Wo? mit Wem? Wie? interagiert und welche Bedeutung dies für ein Ökosystem hat, genauer zu beantworten, steht noch viel Forschungsarbeit vor uns.
An der Universität Innsbruck laufen momentan zwei Projekte, im Rahmen derer versucht wird, die Rolle der Laufkäfer in diesen Nahrungsnetzen besser zu verstehen und wie dieses Wissen in der biologischen Kontrolle von Unkräutern eingesetzt werden könnte. Wer gerne mehr zum Thema Laufkäfer und ihrem Potential erfahren möchte, ist herzlichst eingeladen den Projekten BioAWARE und Granivory zu folgen.
Die Autorin Britta Frei ist studierte Biologin und derzeit Doktorandin im EU-geförderten C-IPM Projekt BioAWARE und dabei sowohl an der Universität Innsbruck als auch am französischen Landwirtschaftsforschungszentrum INRA (Institute National de la Recherche Agronomique) wissenschaftlich tätig.
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